Alte Spiele und Traditionen in Steinen

Alte Spiele

Das Chugelen oder Murmelspiel war bis in die fünfziger Jahre gross im Schwung, seither ist es am Verschwinden. Einerseits, weil bald der letzte Quadratmeter Strasse und Weg asphaltiert ist, anderseits, weil die Kinder das Erwerben und Verlieren jetzt eher mit dem „Monopoly“ üben, oder das Spiel des Lebens passiv vor der gewölbten Scheibe über sich rieseln lassen.

Regeln alter Spiele

Zum Chugelen braucht’s nämlich eine gut suppentellergrosse Vertiefung im Boden, am besten eingescharrt in sandigem Strassenbelag. Drum herum werden die grössern Steinchen sauber weggewischt. Für ganz sorgfältige Arbeit ein Geheimtipp: nimm das Nastuch! Wenn passende Spielpartner auftauchen, möglichst mit grossem Chugälisack und nicht gar zu geschickten Händen, schreit man schnell: „Chugälä lettscht.“ So wirft dann ein Spieler aus ein paar Metern Abstand – mit einem eingekratzten Strich markiert – seine erste kleine farbige Tonkugel ins oder nahe zum Loch. Der zweite und weitere machen das gleiche. Sobald einer seine erste Kugel im Loch hat, darf er die noch herumliegenden mit dem angewinkelten Zeigfinger ebenfalls hinein schubsen. Bewegt er aber eine Kugel auch nur leise, ohne dass sie gleich im Loch landet, schreien die Gegenspieler: „verrodt!“, und der Nächste ist wieder dran. Wer nun die letzte Kugel der Runde einlocht, dem gehören alle!

Es gibt auch noch andere Spielregeln: Anstelle des Loches kann eine grosse „Glesigi“ oder gar „Lisigi“ (Murmel) dienen. Man muss dann so nahe wie möglich zur grossen Kugel werfen. Da wechselten manchmal an einem schulfreien Nachmittag an die Hundert Chugäli von einem Sack in den andern. Für ein Bubenherz himmeljauchzendes Glück – oder schwärzestes Verhängnis: Schule des Lebens. Für sie war es immer am allerschlimmsten, wenn d’Chrounägrejt gewann. Besonders perfid: ein Mädchen!

Das Rafelen in der Karwoche

kirchlicher Brauch

Rafelen, das ist ein verlorener kirchlicher Brauch. In der Karwoche schwiegen jeweils die Glocken, aus Trauer über das Leiden ihres Herrn. Ihnen sagte man, sie seien nach Rom geflogen. Die grösseren Dörflerbuben waren aber dem Geheimnis schnell auf der Spur, durften sie doch das ganze Jahr über beim Herrn Gemeindeschreiber und Sigristen Franztoni Annen vor elf Uhr den grossen Schlüssel für die Läutstube im Kirchturm holen und dann selbständig „Ölfilüütä“. Auch beim Läuten war übrigens – zwar streng verboten – eine abenteuerliche Abwandlung möglich. Anstatt brav unten in der Läutstube am Seil zu ziehen, kann man nämlich in den Turm hinauf zum Glockenstuhl steigen. Dort hängt man dem Klöppel der grossen Glocke einen Hälslig um, welcher von der Glockenkrone herabplampt. Nun bringt man die Glocke voll in Schwung – mit dem gefangenen Klöppel gibt sie ausser dem Knarren im Glockenstuhl keinen Laut von sich. Man passt den Moment ab, wann Glocke und Klöppel am höchsten Punkt ihrer Bahn einen Moment stillzustehen scheinen und schlenkt die Schlinge flink vom Klöppel weg.

Sofort jauchzt und singt die Glocke voll auf, ohne den geringsten „kläncker“ (Aussetzer), wie er sonst beim Anziehen leicht vorkommt. Beim „Underziäh“ – kurzer Unterbruch des Läutens – oder beim Aufhören passiert der umgekehrte Vorgang: die Schlinge wird einfach wieder mit leichter Hand über den Klöppel geworfen. Die erzene Stimme schweigt wie ein Schüler bei der Frage „Entdeckung Amerikas?“, weil bei beiden etwas verhängt ist!

Der Franztoni hat ihre verbotenen Eskaladen jeweils wohl bemerkt. Sagte aber nur: „Nämä gar nüüd klänckt hüt!“

Jetzt eben das Rafelen: in der Karwoche durfte man offiziell in die Glockenstube hinaufsteigen, weil die grosse hölzerne Rafälä oder Ratsche dort oben stand. Das war ein rechteckiger Kasten, etwa einen Meter hoch, an die Jalousie der Glockenstube gebunden, mit einer Kurbel dran. Die Kurbel bewegte einen Mechanismus aus Holz, mit gezähntem Rad und einer darauf schnarrenden Holzfeder. Anstatt mit den Glocken zu läuten, drehte man halt an der Kurbel, was einen traurigen Ton ergab, der allerdings kaum weiter als bis über den Dorfplatz trug.

Darf man es bereits als einen Brauch bezeichnen, dass ihnen die Musikgesellschaft seit mehreren Jahren am Ostermorgen mit einem Frühkonzert und Oster-Eier-Nestern an allen Ecken des Dorfes verwöhnt – Jedermann wünscht mindestens, es möge ein lange währender lieber Brauch werden!

Von Ostern bis zum frühen Herbst machen die Volksbräuche anscheinend Ferien.