Tradition, Geschichte und Feierlichkeiten der Fasnacht in Steinen

Fasnacht ähnlich wie in Steiner gibt es in der ganzen Innerschweiz und noch weiter herum überall, wo früher die Alemannen siedelten, am nördlichen Alpenrand. Die Forscher nehmen an, sie sei etwas sehr Altes, von den heidnischen Vorahnen Stammendes. Diese wollten jeweils beim Nahen des Frühlings den Winter austreiben, dessen Kälte und Ungemach sie von bösen Geistern erzeugt glaubten. Dabei trugen sie wahrscheinlich schon eine Vermummung und Masken und machten einen „Heidenlärm“, um sich selber vor den bösen Dämonen zu schützen, grösser und mächtiger zu erscheinen. Und es kann angenommen werden, das Herumrabauken am Ende des Winters habe unsern heidnischen Urvätern nach und nach gar wohl gefallen. So sehr, dass es die christlichen Missionare aus Irland klüger fanden, den damals schon unausrottbaren Brauch nicht zu gründlich zu bekämpfen, sondern ihm lieber ein, wenn auch dünnes, christliches Mäntelchen umzuhängen. Jetzt galt die Fasnacht als ein letztes, möglichst einigermassen reglementiertes Austoben vor der langen und strengen Fastenzeit.

Die Steiner Fasnacht

Figuren aus dem Steiner Fasnacht

Ja, das Reglementieren! Ein Altmaschgrad hat Notizen gefunden, dass die Hohe Regierung schon Anno 1847 den Steinern das „Fastnachtsvergraben“ erfolglos verboten haben. Oder: der Herr Pfarrer und die Siebner und Räte von Steinen hätten 1823 den Landrat von Schwyz ersucht, er möge das Trommeln und Herumlaufen in Masken am Aschermittwoch verbieten! Aktenkundig gab es also um diese Zeit eine Art Fasnacht, und man kann vermuten, sie sei gar nicht so verschieden von der heutigen gewesen. Auf jeden Fall gab es in unserm Land von alters her immer Trommler und Pfeifer, als Militärmusik gehörten sie zum Schwyzer Kriegsvolk. Vermutlich war der Narrentanz dadurch von den alten kriegerischen Weisen und Tänzen beeinflusst.

Häufigste Maskenfigur der Steiner Fasnacht ist der Blätz, der an den Harlekin der Commedia dell’arte erinnert. Weiter hat es Fecker, Zigeuner, Bajass, Domino, Alter Herr und Hudi. Stets neue Fantasie-Figuren, gelegentlich solche, die auf Aktualitäten Bezug nehmen, beleben die Rott, die in Steinen gut und gern 200 und mehr Maschgraden zählen kann. Früher sah man auch häufig Ritter, Tüüfel, Vier Bauern, Titti und Tiroler.

Die Steiner Fasnacht spielt sich auf Strassen und Plätzen ebenso wie in den Wirtshäusern ab: Die Rott, gefolgt von den Tambouren, die den Narrentanz trommeln, und umkreist von den Hauptfiguren Talibasch und Välädi, nüsselt eine Viertelstunde auf dem Dorfplatz im Kreis, zieht dann -immer im Narrenschritt und mit Trommelbegleitung – abwechslungsweise in eine Wirtschaft. Dort wird eins getrunken, gescherzt, intrigiert und getanzt. Schon bald ruft aber ein Trommelwirbel die Maschgraden zurück auf die Strasse. Wieder folgt eine Runde auf dem Dorfplatz, und so den ganzen Tag. Der Narrentanz ist jedem Steiner unvergesslich eingeprägt. Die stete Wiederholung vom Morgen bis zum Abend hat eine geradezu hypnotische, magische Wirkung. Sagt z’Sännannäsä Seffi, der Alt Narrenvater: „Was im Bluod isch, cha mr nid zu de Haar uusästrählä!“ Jede „präzise“ Beschreibung tönt für den Insider etwas lächerlich.

Den dazu gehörenden „federnden Hüpf-Tanz auf Absatz und Fussspitze“ lernen hier die Kinder meist schon vor dem Schulbesuch oder später in Kursen der Fasnachtsgesellschaft. Viele Zugereiste entziehen sich der Faszination des Brauches nicht. Fasnacht ist wohl der mächtigste Pol, der die Steiner immer wieder vereinigt!

Zeitlich läuft sie so ab:

Am ersten Fasnachtstag, früher jeweils von der Regierung festgelegt, im Januar, gibt es eine Maschgradenrott, in wenigen Wirtschaften Musik und Tanz. Viele Maschgraden schätzen diesen Tag am meisten, weil der Andrang noch nicht gross, überall Platz ist zum Nüsseln und Tanzen ist. Jetzt, neuerdings, bestimmt das Dorf Steinen selst, wann der erste Fasnachtstag stattfindet. Im jahr 2000 hat dieser erstmals an einem Freitag stattgefunden (früher immer montags).

Bis in die siebziger Jahre fanden jeweils in der folgenden Zeit Maskenbälle statt. Heute hat sich dies etwas verloren.

In Steinen ist am Schmutzigen Donnerstag keine Fasnacht, dafür aber so richtig am Güdelmontag und -dienstag. Am Montag um die halb sechs, sobald das Frühglöcklein geläutet hat, geht’s los: es wird weit ums Dorf getrommelt und genüsselt, nachher gibt es für die Maschgraden eine heisse Suppe, und die Rott löst sich noch einmal für kurze Zeit auf. Am Montagnachmittag stürzt sich alles „is Ghüdel“, zweihundert Maschgraden sind keine Ausnahme, Massen von Zuschauern drängen sich auf Strassen und Dorfplatz, wo die Maschgraden reichlich Orangen, Chräpfli und Füürschtei verteilen. Die Kinder lärmen: „Sinzäguet Maschgraaad -gimmer au än Oranschä! – Maschgraad -Maschgraaaaad!!“ Und erst in den Wirtschaften: alles drängt hinein, wälzt sich durch die engen Gänge, jetzt kommt auch noch die Rott, kaum hört man die Klarinette jubeln und z’Kaiser Karis Bass rupft nur im Unterbewusstsein an unserm Zwerchfell. Wer jetzt auf vornehme Distanz Wert legt, geht besser heim go liggä. Wir andern ? liggä chömmr de nachem Triissgischtä ? nehmen zusammen einen halben „Fandang“, nebenan bringt die Serviertochter „Drü maal Milkäpaschtejtli“, vom „Fandang“ kriegen wir kaum einen Tropfen, weil zwei Maschgräädli ?“Frälein äs Röhrli“ ? einen recht gesunden Zug haben, nachher tanzen wollen, und wie wir zurückkommen, ist sowieso der Platz besetzt: „Macht nüd, muos etz einäwäg nu gschwind i p’Baar appä.“

Steiner Fasnacht

Gegen Abend kommt das Ganze von selbst wieder in etwas bescheidenere Bahnen: immerhin ziehen auch jetzt die bekannten Ländlerkapellen viel Auswärtige an, die Stimmung geht in der Regel sehr hoch ? sie hält an bis in den grauen Morgen. Und doch darf man mit einigem Stolz sagen: Die Steiner Fasnacht wahrt einen Rahmen, dass keiner sich schämen muss, dabei zu sein.

Am Dienstagmorgen (neuerdings auch schon am Güdelmontag) nüsselt die Kinderrott. Die Fasnachtsgesellschaft verteilt am frühen Nachmittag an alle Kinder grosse, mit Orangen, Brot, Würsten und Füürschtei gefüllte Papiersäcke. Am Nachmittag wird wie am Montag genüsselt, und um halb acht Uhr ist das Underämachä:

Mitten auf dem Dorfplatz wird eine kleine Bühne aufgebaut – ein Schneestock wie bis in die sechziger Jahre wäre zwar viel schöner. Der Narrenvater – sein Amt ist hier mindestens so angesehen wie jenes des Gmeindspresi – memoriert ein letztes Mal seine Gsätzli, während er im Maskenzimmer in sein blaues Biedermeier-Gewand eingekleidet, geschminkt und mit langen grauen Haarsträhnen coiffiert wird. Von allen Ecken des Dorfes tröpfeln Maschgraden auf den Platz, die Rott schwenkt vom Stauffacher her dazu, die Strassenbeleuchtung wird ausgeschaltet, der ganze Platz gschtungget vollä mit Masken und Zuschauern: jetzt wird noch einmal ganz lange genüsselt, bis eim p’Pei schier abghijid. Unterdessen hat sich auf der Bühne eine kleine Ländlerkapelle aufgebaut, der Narrenvater mit der schönen Jumpfer „Steinerräbe“ steigt hinauf. Die Tambouren brechen ab, alles schaut auf den Narrenvater: in gereimten Gsätzli lässt der nun Behörden, Klerus, Maschgraden, Jung und Alt hochleben. Nach jedem Vers ruft er aus: „Sie söllid läbän inerä guotä Gsundheit, imenä bschtändigä Wouhlsii und imenä drüüfachä läbi Houch, houch, houch, äxtrahouch“

Z’Ehrlers Kari schaltet von der Rössli-Altane aus im richtigen Moment den Scheinwerfer ein und aus. Alle Maschgraden stimmen in die Hochrufe ein, recken ihre Buuselbesen oder die Arme in die Höhe und springen auf, dass Tausende von Schellen hell erklingen. Sofort setzt die Ländlermusik mit einem ganz kurzen Stück ein, man tanz im Rund zu zweien, wen es gerade trifft, oder auch allein. Unvermittelt bricht die Musik ab, und schon ruossen wieder die Tambouren, bis das nächste Gsätzli an der Reihe ist. Inzwischen wird der Schellenunder, eine Jasskarte, vom Välädi vergraben, unter den eigens dafür eingelassenen blinden Dolendeckel.

Das geht so etwa zwanzig Minuten, bis Steinerräbe und Narrenvater abtreten. Sein Amt ist es jetzt nur noch, nachts um zwei Uhr – früher punkt zwölf – das fröhliche Treiben in allen Wirtschaften abzublasen. Und was ein Aussenstehender kaum glaubt, alles gehorcht ihm aufs Wort. Die Fasnacht ist für einmal wieder vorbei.

Noch zu erwähnen: sporadisch schon vor 1937, seit der damaligen Gründung ziemlich regelmässig – und ab 1947 in 5-Jahres-Abständen, wird hier ein grosser Fasnachts-Umzug zelebriert, der mit Recht weitherum berühmt ist.