Das Leben und Vermächtnis von Pfarrer Albin Schittenhelm

Pfarrer Albin Schittenhelm, 1897-1967

Ein ausnehmend begabter, mit mehreren Doktortiteln geehrter frommer Mann, amtierte in Steinen von 1936 bis 1960. Er war auch ein gefürchteter Schulinspektor, nebenbei als solcher ein grosser Vorkämpfer der „gemässigten kleinschreibung“. Zu seinem Begräbnis stiftete natürlich auch das hohe Erziehungsdepartement des Kantons Schwyz einen schönen Kranz. Auf dessen Schleife prangte in güldenen Lettern die Inschrift: „Unserm Schulinspecktor“

Es ist nicht anzunehmen, dass dem Engel Albin sein bärbeissiger Humor im Himmel so schnell abgewöhnt werden konnte. Nur schade also, dass sein Kommentar uns Irdische nicht mehr erreichte.

Biblische Geschichte auf Steinerart oder „Der Blinde und der Lahme“

Der Blinde und der Lahme

Der Lahme – Thedori Koller vom Rössli, von Kindsbeinen an hülpte er stark, wegen Kinderlähmung – und der Blinde – Gödl – waren ihr Lebtag grosse Fischer auf dem Lauerzersee. Schon in reiferen Jahren sind sie an einem kalten Novembertag einmal mehr beim „Schleiken“ auf dem See; der Thedori rudert und der Gödl hantiert mit dem „Seehund“ und den Schnüren. Ufsmal vertschlipft der Thedori und geiglet über Bord! Zwar kann er schwimmen, über den hohen Rand des Holzbootes zu klettern, das schafft er aber auch mit Hilfe von Gödl nicht mehr. Was tun?

Der Theodor hängt sich – Unterkörper im kalten Wasser – ans Bootsheck, dirigiert den Gödl an die Stehruder und gibt ihm laufend die Richtung an: chli mej links; rächts haa, rächts haa! bis sie beim Cholplatz das rettende Land erreichen. Damit war aber nur der erste Teil des Abenteuers bestanden. Jetzt galt es noch, den Thedori wieder zu tröchnen, bevor seine Angetraute von der Geschichte erfuhr. Diese war nämlich über die Fischerei nicht besonders erbaut. Die beiden Helden begeben sich also i’s Brucker Seffis Wagnerei bei der Aabachbrücke im Dorf. Dort wurde dann der halb Erfrorene wieder in einen menschenähnlichen Zustand versetzt. Dabei wandte der Seffi dem Vernehmen nach äusserlich die Wärme seines Sägemehlofens an, unterstützt von innerlicher Verabreichung mehr oder weniger homöopathischer Hausmittel.

Dr Schniidr Schnüäriger

Dr Schniidr Schnüäriger von der Mühlegasse war ein kleiner zwirbliger Mann. Achehrig und gwehrig brachte er seine grosse Familie ehrlich durch härtere Zeiten, als es die heutigen sind. Die Schneiderei war in den dreissiger bis fünfziger Jahren kein grosses Geschäft mehr. So behalf sich Albert Schnüriger mit allerlei Nebenverdiensten: Tanzschenkern im Rössli, Schweinezucht mit im ganzen Dorf eingesammeltem Süügwääsch – mit den duftenden Nebenprodukten der Schweine wurde der Selbstversorgungs-Gemüsebau angekurbelt und Reiseverkauf von Stoffen. So in den vierziger Jahren waren die Ansichten über Nützlinge und Schädlinge im Landbau noch nicht ganz gleich wie heute. Auf jeden Fall glaubte Albert einmal, den Grund für unbefriedigende Erträge im Hausgarten an der Mühlegasse entdeckt zu haben: die zahllosen Mettel! Kurz entschlossen steckt er kräftige Elektroden aus Kupfer in den Garten, schliesst sie am Starkstrom an und kitzelt so die unerwünschten Bodenbewohner aller Art an die Oberfläche. Ob die Erträge entscheidend stiegen, ist mir nicht bekannt. Doch ist anzunehmen, dass ein grosser Teil der Tierchen nach der Elektromassage auch noch schwimmen lernen musste: an einer Angel in der Steineraa.

Zum Stoffverkauf auf der Reise hängte sich der Schniider Schnüriger an Lederriemen zwei schwere Musterkoffer über die Schulter. An einem heissen Frühsommertag keucht er damit das Steinertal gegen den Adelboden hinauf. Zeit ist Geld, denkt der emsige Kaufmann – damals selbstverständlich in tadelloser Kleidung aus schwerem englischem Stoff, mit Gilet und Krawatte – und sticht den steilen Stutz oberhalb Stadlers bolzgrade hinauf, nicht dem Fussweglein entlang. Schwitzend und schnaufend wuchtet er zuoberst die Koffer über einen Hag um nachher selber darüber zu klettern. Wills der Tüüfel entgleiten ihm aber die Tonnerskoffer und kollern fröhlich wieder den Hoger hinab! – Der Schnüäriger Bärti etwas weniger fröhlich hintendrein. Der Zapfen war aber erst dann ganz ab, als z’Chälis Oettl, der unsern Sisyphus von einem Chriesibaum appen beobachtet hatte, ein giftiges Jüüzlein nicht verklemmen konnte.

Savonarola redivivus

Z’Spängler Holdeners Wiisel von der Mühlegasse ging früher wie alle Handwerker viel zu den Bauern „auf die Stör“. Einmal war er mit seinem leicht behinderten Stiefbruder Xaveri zusammen im Turä. Nach dem Nachtessen kam für die beiden noch eine Aufgabe, bei der sie sich schwerer taten als beim Blechklopfen. – Nein, ich meine nicht das Löten, das bewältigten sie virtuos in jeder Variante . . . – Anstatt einen Jass zu klopfen, wie sie es gewohnt waren, mussten sie helfen beim Rosenkranz-Beten. Geschadet hat’s ihnen sicher nicht, aber es kamen auch gar viele Anliegen aufs Tapet, die unbedingt noch den Heiligen unterbreitet werden mussten, nachdem man ja gerade zwei zusätzliche fromme Beter aus der Mutterpfarrei Steinen zur Unterstützung hatte. Wie alle schon fast am Chuchitisch einschlafen, facht die Grossmutter den heiligen Eifer ein letztes Mal gewaltig an: „Sou und etz nu füüf Vaterunser und Gegrüsseischtu für unsern Märtel, das är die ver …h… Suu nid hüraatet! „

Über den Wolken – muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …

Über Steinen hinweg führt eine internationale Luftstrasse. Und ich bin chaibämässig stolz auf eine sehr hübsche Cousine, die bei der Swissair als Stewardess angefangen hatte, Karriere machte und heute für die Ausbildung von über 200 Hostessen verantwortlich ist.

Damit sie den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht verliert, macht sie bei jeder Gelegenheit selber auch wieder Dienst, etwa in einem Jumbojet. Dabei sagt sie einmal beim Start in Kloten zum Captain, er solle es ihr dann bitte melden, wenn sie über Steinen seien, sie wolle hinunterschauen. Pia beginnt mit dem Bordservice, fädelt gerade das Dinnerwägeli durch den engen Gang. Plötzlich macht der Jumbo einen uuuchaiben Taucher. Unisono-Aufschrei der Passagiere. – Die schönen Zabigplättli rutschen aus den Fächern auf den Teppich, und aus dem Bordlautsprecher säuselt beruhigend die Stimme des Piloten: „Hello Pia, this is Steinen!“

Gepflegte Hände

Feine Hände zu haben, bedeutet in unserem Bauern-, Arbeiter- und Gewerblerdörfli nicht unbedingt eine Auszeichnung.

Da nimmt einmal an der Fasnacht z’Sännanässä Seffi als Maschgrad einen hoch. Als Senn hat er nun aber eben verhältnismässig weiche Hände. Der andere schaut nur diese an, haut auf den Tisch und ruft: „Du verbränti Zainä, a de Händän aa isch das bimaich a ZüüghüüsIer!“

Man darf schon fragen, wenn man die Antwort nicht scheut…

Z’Schürmesä Gopfriid sitzt eines Morgen in einer Wirtschaft in Lauerz allein am runden Tisch, er lässt seinen Kopf melancholisch den Tisch herunterhängen.

Es kommen zwei Lauerzer Viehhändler dazu, wollen ihn ein wenig necken und fragen: Gopfridel, warum laasch au äso de Grind la lampä?“ Gopfried hebt kurz den Blick: „Bi geschter ufem Veejhandi gsii; tarf käm Mänsch mej i d’Augä luegä!“

Ein anderes Mal, in Steinen war gerade die damals noch leidige Schulhausbaugeschichte ingang, der Gopfried – oder war’s eher der Gödl? – sitzt auch wieder in Lauerz: „Sosou Gopfridl, wenn wönd au d’Steiner äntli ires Schuelhuus buuä?“ „Wenn de d’Lauerzer ires zallt hend!“

Ticino divino – made in Steinen

Ein lieber Tessiner Verwandter, Gemüsehändler und grosser Feinschmecker – schon von Berufes wegen kennt er sämtliche Grotti und Trattorien unserer Sonnenstube, welche diesen Namen verdienen – wollte mir einmal mit einer ganz besondern Spezialität Freude bereiten: extra feiner Tessiner Käse, wie man ihn nur da und da bekomme, unter der Hand! Olivenöl vom Besten solle ich dazu nehmen, ein Glaslein von einem genau definierten Merlot, „e tu vedrai, Giüsep, I’è una cannonada!“

Erwartungsvoll entblättere ich das Wunderding. Das Herz wird mir ganz warm, wie anstatt dem Monte Brè etwas leicht Mythen-ähnliches auf der Etikette prangt. Und nun wisst ihr bereits, was der liebe Dario nicht ahnen konnte: der Formagella war natürlich vos Stygers Tönel!

Mit Dampf in den Himmel?

Die „Grouss Stygeri“, auch Parämejtr genannt, war eine Hausiererin, die in den dreissiger Jahren gestorben ist. Ihr Beruf brachte es mit sich: sie war nicht gerade mundfaul. Einmal kommt sie in Steinen etwas spät auf den Bahnhof; der Zug steht da, der Vorstand hat die Kelle parat, und der Kondukteur ruft vom Trittbrett herab: „Chömid au einisch, Frau, iär chömid nu einisch z’spät i Himmel!“

Gibt die Grouss-Stygeri zurück: Jaa, de hangi de halt grad amenän Lisäbähndler aa!“

Vielbegangene Wege

Karl Muheim, Landwirt auf dem Frauholz, in jungen Jahren von Uri her nach Steinen zugewandert, wandte sich erst in reiferem Alter der Politik zu; doch wurde er darin, hauptsächlich als Fürsorge- und Waisenamtspräsident, legendär.

Da luden sie einmal ein Päärli alter Kunden der Gemeinde vor, das nicht gerade gut beleumundet war, beide auch geistig eher unterbemittelt, und von dem das löbliche Waisenamt vernommen hatte, sie wollten heiraten. Man versucht, ihnen das auszureden, weil die Schwierigkeiten vorauszusehen sind, die mit Erziehung und Lebensunterhalt von eventuellen Nachkommen entstehen würden. Eindringliches Reden hilft aber gar nichts. Schlussendlich tätscht die zarte Braut ihren letzten Trumpf auf den Tisch: „lähr Herrä, es ischt dann noch gar nicht sicher, dass nicht schon Oeppis unterwegs ist!! Könnt ihr dafür die Verantwortung übernehmen?“

Darauf der Muheim trocken: „Ufemä Wäggli wo vill gloffä wird, wachst gwehndli kä Gras“. Die beiden heirateten, „Gras“ wuchs keines!

Numä nid gschprängt

Pfarrer Schittenhelm

Wieder einmal geht Pfarrer Schittenhelm auf Schulbesuch. Wie er zum betreffenden Schulhaus kommt, rennt ihn ein grosser Sechstklässler-Lümmel fast über den Haufen, hintendrein hastet mit fliegendem Kopftuch, Stecken in der Hand, eine Lehrschwester. Wie sie den gefürchteten Schulmann sieht, erstarrt sie wie Lots Weib, und er fragt, was denn los sei. Die Schwester darf das Wort fast nicht in den Mund nehmen, haucht aber schlussendlich doch errötend: der Kärli habe gesagt, sie solle ihm – „is Füdli blaasen!“ Albin Schittenhelm: „Ja, und jetzt, pressiert das so?“

Er selber war auch nicht gerade der Langsamste. Auf jeden Fall hat man es in Steinen seither nie mehr erlebt, dass ein Sonntags-Jugendgottesdienst, Kurzpredigt inbegriffen, in zwanzig Minuten vorbei ist. Bei ihm war es die Regel.

Ungleiche Talente

Pfarrer Schittenhelm ist auf Inspektions-Reise. Sein Auto will nicht so recht; nahe bei einem Haus ausser dem Dorf Muotathal steht es still. Er klappt den Motordeckel auf, schaut ziemlich ratlos hinein. Macht sich gar nicht gut, wenn der Herr Inspektor zu spät kommt! Ja, wenn man den Motor mit grammatikalisch einwandfreiem und theologisch unanfechtbarem Gebet, notfalls mit Exorzismus, bearbeiten könnte, wäre das kein Problem! Der stählerne Knecht ist aber leider einem mehr mechanistischen Weltbild verhaftet. Wie sagte doch Albins Kollege von der Konkurrenz: „Da hilft kein Singen und Beten, da hilft nur Dreinschlagen!“ Abgesehen davon war Singen ohnehin nicht seine Stärke: Pfarrer Schittenhelms Achillesferse lag sozusagen im Kehlkopf!

Kommt aus dem Haus ein Bub, hin- und hergerissen: die schwarze Soutane empfiehlt vorsichtige Distanz, der kranke Motor zieht magnetisch an – Neugier und Hilfsbereitschaft obsiegen! Der Bub schaut nur kurz in die Eingeweide des VW. Dreinschlagen ist nicht vonnöten; er dreht nur kurz an ein, zwei der für den Kirchenmann so geheimnisvollen Schräubelein und sagt zu ihm, er solle jetzt anlassen. Der Motor schnurrt rund wie ein Wecker! Nach herzlichem Dank fragt nun doch der Herr Schulinspektor den Buben, ob er denn nicht in die Schule müsse, sie hätten doch heute Examen?

„Ja, schon, Herr Pfarrer, aber die Schulschwester hat gesagt, ich soll daheim bleiben, ich sei viel zu dumm fürs Examen!“

Ich bin sicher, dass jetzt unser Pfarrer, als bekannt milder Beichtvater – konnte er schon dem VW-Motor nicht selber helfen – wenigstens für den „dummen“ Mechaniker und dessen ehrgeizige Schulschwester eine einschlägige Partial-, General- oder auch Pauschal-Absolution zur Hand hatte!

Stromausfall

Diese wahre Geschichte spielt in moderneren Zeiten, das „Waisenamt“ hat sich schon zur vornehmeren „Vormundschaftsbehörde“ gemausert. Aber die Kunden gleichen den früheren aufs Haar.

Wir erfuhren, dass ein älterer Knabe nächstens eine grosse Auszahlung aus der Pensionskasse seines Arbeitgebers bar erhalten werde. Der gute Mann hatte aber bereits schwere Schulden, und jedes „vorige“ Fränkli schoppte er in die „einarmigen Banditen“ = Spielautomaten. Wir luden ihn also vor, um ihm ins Gewissen zu reden – rechtlich kann man ja sowieso nichts unternehmen, bevor das Geldli vollkommen vertan ist.

Im Abstimmungszimmer macht der Gmeindschriiber dem Manne die rechtliche Lage mit gewählten und präzisen Worten klar, der Vormundschaftspräsi doppelt mit etwas gröberem Geschütz nach – „du weisst, wie die Sache läuft, zuletzt müssen wir dich noch vogten“ – und der Gemeindepräsident kann’s auch nicht lassen, noch ein paar Minuten lang „weise Worte des Vorsitzenden Mao“ zu produzieren. Nachher schauen die Drei den Purscht erwartungsvoll an; was meint er dazu?

Der beginnt gemächlich an seinem Höhrapparätli hinter dem rechten Ohr zu trüllen, dann am linken, nachher nestelt er umständlich ein flaches Etui aus dem Brusttäschlein und nuschelt vor sich hin: „Isch ietz scho nu tumm, die chaibe Patterie isch mäni dundä! – i ghörä rein gaar nüüd.“

Ja ja, kurz ist der Weg vom Weisen zum Waisenchnaben.

Ein konservativer Bilderstürmer

Der Wiget Franz vom Adelboden war ein KK-Politiker vom alten Schrot, gefürchtet und beliebt, je nach Standort des Subjekts. Auch im Kantonsrat landete er mit knappen Worten manchen Treffer. So zum Beispiel als es darum ging, einem Brigadier, der sich für unsere Innerschweiz sehr verdient gemacht hatte, ein Denkmal zu setzen. Denkmäler sind zwar nicht so unsere Art, aber doch wollte im Kantonsrat niemand gerne direkt den Böölimaa spielen. Erst „der Schnauz“ brachte das Monument zu Fall, bevor es stand, und zwar sinnigerweise mit einem befürwortenden Votum: „Also, Ihr Herren, ich bin ganz dafür, dass dem Herrn Brigadier ein Denkmal errichtet wird. Nur würde ich vorschlagen, es dann nicht in Schwyz, sondern im Ängibärg ussen zu erstellen!“

Es ging nämlich damals die Sage, der hohe Offizier hätte im Engiberg zarte Bande geknüpft, von denen niemand etwas wissen sollte, die aber sogar ohne Mithilfe des sowjetischen KGB entschleiert und scheints auch im Kantonsrat wohl bekannt waren …

Winzige Schrittlein

Es gibt Leute, die überall, wo sie durchkommen, eine Spur von Zerstörung, Aufregung, gar Hass zurücklassen. Manchmal versuchen solche dann den ganz „Grossen Sprung nach vorn“ – und was sie schaffen, ist wiederum nur ein Scherbenhaufen.

Und es gibt andere, die bewusst oder unbewusst durch ihre Gegenwart heilen, pflegen, ein kleines Leuchten bringen. In ihrer unerschütterlichen Zielsicherheit können sie sich erlauben, immer nur ganz kleine Schrittchen, dafür zum richtigen Ziel hin, zu tun.

Ds’Fräuli Vögäli vom Bürgerheim gehörte zur zweiten Sorte. Darum soll sie hier ein kleines Denkmälchen haben: Mit dem hölzernen Handwagen hausierte sie äs chliis grings Frauäli – für das Bürgerheim mit dem im Garten gezogenen Gemüse. Dabei kam sie – selbstverständlich zu Fuss – auch bis nach Schwyz. Eine vorbildliche Verkäuferin, konnte sie mit einem gewinnenden Lächeln jeder Hausfrau etwas verkaufen, auch wenn diese meinte, sie brauche nichts. Und was mich am meisten beeindruckte: wenn sie auf der Hauseinfahrt etwa ein Papierchen liegen sah, war sie nie zu müde, sich zu bücken und dieses aufzuheben. Als später die Bürgerheim-Pensionäre wegen dem Umbau nach Brunnen verlegt wurden, soll sie das sogar auf dem Gotthardbahn-Gleise versucht haben. Eine Manie, die ausgelacht und bekämpft werden muss? Oder der stete bescheidene Versuch, im Universum ein ganz klein wenig mehr Ordnung zu hinterlassen, winzige Schrittlein auf dem Weg in den Himmel?

Der Unterschied: Die Internationalen Bocksprung-Ideologen möchten pauschal gleich die ganze Welt beglücken, aber immer so, dass alle andern gumpen, von welchen sie sich auch noch ernähren lassen. Hingegen die kleinen Vögelein picken, hüpfen, flattern selber, füttern dabei noch die hungrigen Jungen!

Seltenes Vergnügen

Frau Ida Koller-Bürgi vom Rössli, schritt der Frauenverein voran, dahinter kam die Musikgesellschaft. Sagt z’Lientschä Sejbl zu seinem Nachbarn: „Etz chömmer einisch am Frauäverein is Füdlä blasä! „

R-I-P

Z’Lientschä Sejbl, der Felchlin Wilhelm und der Schibig Walter vom Konsum kommen auf ein Paar zu reden, das sein Lebtag zankte und stritt. Sagt der Sejbl abschliessend: „Diä sind hüt nu hinderänand, – im Fridhouf obä.“

Das Rollen ferner Brandung

Einige Jahre nach dem letzten Weltkrieg kam mehrmals nacheinander eine Architekten-Familie aus Frankfurt nach Steinen in die Ferien. Sie hatten in der Hitlerzeit das Böse erlebt, der Vater war dem KZ entronnen; wen wunderts, dass dörfliche Ruhe und Frieden für sie lebenswichtig wurden.

An einem warmen Sommerabend stehen in der Rösslistube alle Fenster weit offen, die Leute aus Frankfurt sitzen am Kanapee-Tisch, sonst kaum Gäste.

Das Gespräch stockt, versickert; allein das Plätschern des Dorfbrunnens vor dem Fenster betont noch die geradezu spürbare Stille, den Frieden. Nach einer Weile sagt der Mann mit belegter Stimme, langsam und deutlich wie eine Beschwörung: „Mein Gott – dass dies noch möglich ist-!“

Die Wacht im Hühnerhaus

Ein paar Zeughäusler transportieren miteinander ein sperriges Hüönderhuusli auf einem Handkarren von der Lauigasse ins Frauholz. Bi’s Suters im Leuä genehmigen sie noch „schnell“ äs Kafej. Wie sie endlich weiterfahren wollen, polterts im Hühnerhaus: ihr Kollege, der Musikdirigent Birchler Toni, hatte gedacht, weils ja nidsi gehe, könne er genauso gut im Häuslein hocken anstatt laufen; das hatten die andern nicht bemerkt -?- und am Türli des Hauses den Schlüssel gedreht…

Selektives Gedächtnis

S’Chündigs Sejbl, Coiffeur, Maskengarderobier, Musiker, Tambour und Wirt der liberalen Hochburg „Bierhalle“ lässt Fünfe grad sein, mag auch den Frommen etwas gönnen. Also lässt er den Lehrschwestern auf Weihnacht eine gute Flasche Wein bringen. Das Botenkind kommt zurück: die Schwestern liessen vielmals danken, und sie würden dann für den Herrn Kündig ein paar Vaterunser beten. „Ja das isch rächt. lich ghijä souisou immr druus däbii.“

Ibach ist eine schöne Stadt. . .

In den fünfziger Jahren schafft die Musikgesellschaft eine moderne Uniform an, dunkelblau mit weissem Hemd. – Hemden waren bis dahin wegen den hochgeschlossenen Uniformkrägen nicht üblich. – In Immensee treten sie erstmals damit auf; nachher in der Beiz sind sie Tischnachbarn der Ibächler. Da giftlet ein Ibächler wegen den noch ungewohnten weissen Hemden. Gibt z’Lientschä Sejbl den Ball zurück „Wir müssen sie halt nicht in der Muotaa waschen!“

D’r Paragraph

Er hiess eigentlich Karl Wüst und legte grossen Wert darauf, dass man den Namen nicht mit „Wüäscht“ sondern korrekt „Wüst“ aussprach. Er hatte noch einen zweiten Übernamen: d’s Arbeiterdänkmal. Paragraph, weil er als Horstarbeiter ein grosser Kämpfer für die gesetzlich verbrieften Rechte der Arbeiter, sämtliche einschlägigen Paragraphen auswendig zitieren konnte. Arbeiterdenkmal: in freien Stunden stand er gern und oft unter dem Bogen, ä Fluäh von einem Mann, Beine gespreizt, beide Hände oben auf einen gut anderthalb-metrigen kinderarmdicken Prügel gelegt, und den rotbärtigen Kopf darauf gestützt. Seine listigen Augen registrierten alles, was auf und um den Dorfplatz geschah und sein wacher Verstand mass es wohl laufend an den griffbereiten Paragraphen. Einmal zwingt mich sein bestimmter Ruf: „Sejjbl!“ zu ihm unter den Bogen. Dann zieht er aus seinem Segeltuchrucksack einen vom langen Herumtragen schon schmusligen Holzrugel und fragt mich examinierend: „Sejjbl chasch mier sääge, was das für ein Holz ist?“ Ich schaue es von allen Seiten an, rieche daran, muss aber passen. Darauf der Paragraph triumphierend: „Mit diesem Stück habe ich schon sämtliche sogenannte Holzfachleute von Steinen vertwütscht! Das solltet ihr wissen, das ist ein schtänds verreckts ÖpfIbäumli! „

Fiat Lux

Fiat Lux

Einmal fand der Sigrist nach dem sonntäglichen Gottesdienst in der Opferbüchse einen in Papier sorgfältig eingewickelten Einräppler. Auf dem Zettel stand zu lesen: „Für mehr Licht in der Kirche!“ Jetzt war der Pfarrer Schittenhelm dafür bekannt, dass er jeweils an Neujahr in einer immer besonders gepfefferten Predigt die eher irdische Seite des vergangenen Kirchenjahres aufrollte und kommentierte.

Zum Licht-Rappen sinnierte er von der Kanzel: „Ich komme da in einen echten Gewissenskonflikt, Geliebte in Christo dem Herrn: darf ich von dem Einräppler jetzt für die Kirchenbeleuchtung nur den Zins verwenden, oder soll ich auch das Kapital angreifen?“

Fasnacht

Der Karneval ist für Steiner das größte Fest des Jahres, die Tänze seien viel schöner als alle anderen, sagen wir uns immer wieder – und wir wollen sicher nicht genau wissen, wie der Karneval anderswo ist.

In allem andern spielen wir gegenüber den Schwyzern eher die Rolle der ärmlichen Verwandten: wir sind nicht so fein gebildet, unsere Sprache ist eher grob, wir haben weder Dichter, Advokaten noch Gelehrte, Politiker ausser dem Stauffacher immer nur dritte Garnitur, aber dass wir die schönste Fasnacht haben, das lassen wir uns nicht ausreden! Bestärkt in diesem patriotischen Gefühl hat uns besonders die Tatsache, dass die Schwyzer schon auf zweien ihrer schönen Fremdenverkehrsprospekte zwecks Werbung die Steiner Maschgradenrott abgebildet haben: der Xaveri Schulthess hatte sie an einem Umzug neben dem Gwärbschuelhuus abfotografiert.

Was schön ist, soll man zeigen! – In Schwyz haben sie ja dafür den Kantonsrat.

Sforzando

Der Aläwisi war noch nicht lange bei der Musikgesellschaft Steinen, er schlug den Triangel. Auch der Dirigent Landis war erst seit kurzem dabei. Wie sie da proben, kommt eine Passage, bei der dem Herrn Landis des Wiisels Geklimper nicht so ganz gefallen will. Er klopft ab: „Sie da mit dem Triangel, haben sie gesehen, was an dieser Stelle oben an den Noten geschrieben ist?“ Der Wiisel nid fuul: „lich wesou jäjaa: S f z, ‚SSSeeholzer fffoll ziehen‘!“

Lebus Negus

Nachdem in Seewen 1936 die Negusgesellschaft entstanden war, kam der Negus in den ersten Jahren, bevor eine eigene motorisierte Staatskarosse angeschafft wurde, jeweils samt den Hofschranzen mit Extra-Staats-Zug nach Addis-a-Seeba angefahren. Diesen Zug bestieg die erlauchte Gesellschaft alig in Steinen. Einmal waren sie etwas zu früh, gingen darum noch „schnell“ zu’s Schibigs ins Bahnhöfli. Die Steiner Maschgraden liessen sich natürlich nicht lumpen und bewirteten den kaiserlichen Gast standesgemäss, nicht nur fürstlich. Vielleicht war er als Afrikaner des Feuerwassers nicht so gewöhnt; auf jeden Fall hatten ihre Majestät beim Aussteigen in Seeben etwelche Mühe. Die Thronrede konnte Exzellenz nicht halten, was dann – richtigerweise – mit der unerhört strapaziösen Reise entschuldigt wurde!

„Quelle: Steiner Buch – Verkehrsverein SteinenQuelle: Steiner Buch – Verkehrsverein Steinen“